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Veröffentlicht am Montag 2. Juli 2012 10:37

Elektronisches Schichtbuch

Transparente Produktionsdaten werden zur Stellschraube für mehr Effizienz

Der Energieverbrauch ist einer der größten Kostenfaktoren im weltgrößten Aluminiumschmelz- und -walzwerk in Neuss. In jeder Schicht müssen die zehn Quadratmeter großen Tore der Aluminiumschmelzöfen mehrmals geöffnet werden – jedes Öffnen bedeutet Energieverluste in Größenordnungen. Um diese Verluste zu minimieren und den Schmelzprozess zu optimieren, wurde ab Ende 2008 ein Elektronisches Schichtbuch installiert. Die IT-Lösung überwacht kontinuierlich sämtliche Prozessdaten, sammelt sie und macht sie auswertbar. Unterm Strich soll so bei gleichbleibender Anzahl der Öfen die Produktion gesteigert werden.

Wir haben hier im Werk 13 Schmelz- und Gießöfen. Jeder wird pro Schicht mehrfach geöffnet, zum Beispiel, um die Konsistenz der Aluminiumschmelze zu überprüfen, Stoffe hinzuzufügen oder um Schlacke zu entfernen. Manchmal reicht es, den Ofen zweimal zu öffnen, aber es kommt auch vor, dass der Brenner zehnmal unterbrochen werden muss“, erklärt Herbert Hansjürgen, Betriebsingenieur für Prozessleittechnik im Aluminiumschmelzwerk der Aluminium Norf GmbH Neuss. Und er rechnet vor: „Angenommen, es gäbe pro Schicht fünf solcher Unterbrechungen und jede kostet sowohl entsprechende Produktionszeit als auch Energie. Und das bei 13 Öfen, in drei Schichten, an 360 Tagen im Jahr – da wird klar, um welches enorme Potenzial es hier geht.“ Potenzial, dass der Experte deutlich effektiver nutzen will – mittels der IT-Lösung „Elektronisches Schichtbuch“. Das innovative Computerprogramm erfasst sämtliche relevanten Daten des Aluminiumschmelzprozesses und macht sie auf einen Blick transparent. Und: Es dokumentiert die Störungen nicht nur, sondern hilft, vermeidbare Ursachen zu erkennen und für die Zukunft auszuschließen. „Wenn das Tor eines Schmelzofens geöffnet wird, will ich wissen, warum das passiert: ob wegen eines notwendigen und unabdingbaren Prozessschrittes oder wegen eines Fehlers, der vermeidbar wäre“, bringt es Prozessleittechniker Herbert Hansjürgen auf den Punkt.

Statt Bauchgefühl: klare Zahlen, Daten und Fakten

Zwar wurden auch vor Einführung des Elektronischen Schichtbuchs Prozessdaten erfasst, doch das System stieß längst an seine Grenzen. So wurden Unterbrechungen zwar zeitlich dokumentiert, doch die Ursachen blieben zu unklar. Vieles musste zudem durch die Schichtvorgesetzten in einem Manuellen Schichtbuch selbst erfasst werden – mit allen Ungenauigkeiten, Fehlerquellen und individuellen Spielräumen, die das mit sich bringt. Deshalb brauchte auch Hermann Koss, Produktionsleiter im Aluminiumschmelzwerk, nicht lange von der Einführung eines Elektronischen Schichtbuches überzeugt zu werden. Im Gegenteil: „Wenn ich morgens an die Anlagen komme, will ich sofort sehen, was dort in den vergangenen Stunden gelaufen ist und wo es möglicherweise hakt. Ich will klare Zahlen, Daten, Fakten – und mich nicht auf mein Bauchgefühl oder ungefähre Angaben stützen müssen. Genau das ermöglicht das Elektronische Schichtbuch. Soll- und Ist-Ablauf werden permanent miteinander verglichen und die entsprechenden Informationen sowohl vor Ort als auch überall dort, wo sie benötigt werden, visualisiert. Maßgeschneiderte Berichte sind auf Knopfdruck abrufbar und ermöglichen einerseits einen blitzschnellen Überblick in Echtzeit wie auch weitergehende tiefgründige Analysen des Produktionsprozesses“, so Koss. Außerdem, so der Produktionsleiter, seien die Bediener jeder einzelnen Anlage jetzt besser über die bei ihnen ablaufenden Prozesse informiert. „Das stärkt die Prozessverantwortung vor Ort – und darin liegt aus meiner Sicht ein ganz wesentliches Potenzial der neuen IT-Lösung“, hebt Koss hervor. Wenn beispielsweise zu große Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Verlauf auftreten, taucht ein roter Balken auf dem Monitor der betreffenden Anlage auf – ein Achtungszeichen mit durchaus psychologischem Effekt für die Mitarbeiter. Doch da diese bereits bei der Erstellung des Pflichtenheftes für das Elektronische Schichtbuch mit ihren praktischen Erfahrungen einbezogen wurden, ist die Akzeptanz hoch.

Schichtbuch über Internet-PC an jedem Ofen im Werk verfügbar

Als es um die Auswahl eines geeigneten Anbieters für ein Elektronisches Schichtbuch ging, stieß Hansjürgen bei der Internetrecherche unter anderem auf die ccc software gmbh in Markkleeberg bei Leipzig, die eine Schichtbuch-Lösung im Portfolio hat. Der Branchenprimus für individuelle Lösungen im Bereich Fertigungsmanagement konnte zudem auf eine passende Referenz im Werk Nachterstedt der Novelis Deutschland GmbH in Sachsen-Anhalt verweisen, das zu den modernsten Aluminiumwalzwerken Europas gehört. Dass ccc software schließlich tatsächlich das Rennen unter mehreren Mitbewerbern machte, lag unter anderem daran, dass das Unternehmen den eng gesteckten Zeitrahmen erfüllen konnte und kreative Ideen einbrachte. „Außerdem konnte ccc uns einen 24-Stunden-Support garantieren. Da wir in drei Schichten arbeiten, war das für uns ein wichtiges Kriterium“, so Hansjürgen.

ccc gelang es, die bisherigen verschiedenen Varianten der Prozessdatenerfassung bei Alunorf in ein einheitliches Elektronisches Schichtbuch zu überführen, das Schluss mit ungefähren Werten und Vermutungen über Ursachen macht und neue Funktionalitäten wie das Überwachen von Störmeldungen bietet. Das System wurde ab November 2008 eingeführt und wurde Schritt für Schritt an den Schmelz- und Gießöfen in Neuss installiert. Aktuell werden die Induktionsöfen angebunden. Bis 2012 sollen dann alle Schmelzöfen des Neusser Werkes – 13 gasbeheizte Rundschmelzöfen und zehn Induktionsöfen angeschlossen sein. Von Vorteil ist dabei, dass es sich um eine webbasierte Lösung handelt, die unkompliziert über den Internetbrowser von verteilten Standorten aus anwendbar ist. Die PCs müssen im Werk also nicht einzeln aufgerüstet und verwaltet werden. Dazu kommt, dass die Benutzeroberfläche vertraut aussieht und fast intuitiv bedient werden kann. „Wir waren die Ersten im industriellen Umfeld, die eine Anwendung im Windows-Stil beispielweise mit einer Menüstruktur, Karteireitern und Navigation in einer Baumstruktur durchgängig webbasiert realisiert haben“, so Diplom-Informatiker René Grabowski von der ccc software gmbh. „Und wir bilden nicht nur Details, sondern den gesamten Produktionsprozess ab.“

„Chaotische“ Prozesse werden auf klare Strukturen heruntergebrochen

Dabei geht er davon aus, dass das Elektronische Schichtbuch im Aluminiumschmelzwerk Neuss in Zukunft noch weit reichendes Potenzial in sich birgt. „Prozesse können damit nicht nur dokumentiert, sondern auch simuliert werden. Die Software könnte also beispielsweise errechnen, welche Auswirkungen die gezielte Veränderung eines Prozessdetails hätte oder wie eine bestimmte Aluminium-Legierung zu erreichen wäre – und das ohne ‘zig kostenintensive praktische Probeläufe“, so Grabowski. Und Prozessoptimierer Herbert Hansjürgen ergänzt: „Damit lassen sich sozusagen, Operationen am offenen Herzen mit ungewissem Ausgang‘ vermeiden.“ Aktuell ist man im Werk aber noch dabei, die schwer vorhersehbaren, parallel und oft „chaotisch“ ablaufenden Schmelzprozesse in den Öfen abzubilden, zu analysieren und klar zu strukturieren. Dann könne die Schmelzleistung in den einzelnen Prozessschritten optimiert und die Leistung gesteigert werden, zum Beispiel durch den gezielten Umbau von Öfen. Das Elektronische Schichtbuch liefert die dazu notwendige Datensammlung und -transparenz, und zwar sowohl für konkrete Tage als auch für einen bestimmten Monat oder das gesamte Jahr. So lassen sich die Änderungen an der Ofenstruktur und die sich daraus ergebenden Auswirkungen konsolidieren und weitere Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz ableiten. Und das nicht nur auf lange Sicht, sondern für jeden einzelnen Tag. Herbert Hansjürgen: „Die vom Elektronischen Schichtbuch erfassten Daten für Technik, Qualität und Produktionsverlauf bilden die Basis für die Morgenbesprechung mit den Mitarbeitern. Daraus werden direkt tagesaktuelle Maßnahmen abgeleitet, zum Beispiel um Störungen zu unterbinden oder Schmelzdauerberechnungen für die verschiedenen Legierungen zu optimieren.“

Nach den bisher gemachten Erfahrungen mit dem Elektronischen Schichtbuch ist Hansjürgen überzeugt: „Der Kampf um Marktanteile erfolgt auf der Prozessebene. Im globalen Wettbewerb müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, um Kosten zu senken. Am Personal zu sparen wäre keine tragfähige Lösung. Deshalb sehe ich bei der Optimierung der Produktionsabläufe das Elektronische Schichtbuch als eine ganz entscheidende Stellschraube.“

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Autor:
Sven Bergmann
ccc software gmbh

www.alunorf.de